Zur Ergänzung der umfangreichen Berichterstattung über die Stasi-Debatte im Kreistag hier die Rede von Wolfgang Freese im Wortlaut

23.03.13 –

Rede von Wolfgang Freese, Abgeordneter von Bündnis 90/ Die Grünen,  vor dem Kreistag am 21.3.2012, unmittelbar nach der Information des Kreistagsvorsitzenden zu den Ergebnissen der Überprüfung der Abgeordneten durch den „Bundesbeauftragten für die Unterlagendes Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU)“ auf Zusammenarbeit mit der Stasi

 „Ich möchte hier nicht über meine eigenen Stasikontakte reden, das habe ich, denke ich, ausführlich und öffentlich gemacht. Es gab Versuche mich als Informant für die Stasi zu werben. Wie ich später aus Stasi-Akten erfuhr, bedeutete das, es wurde ein so genannter IM-Vorlauf über mich angelegt.

U.a. wegen „bewusster Dekonspiration“ wie es im Stasi-Jargon hieß, ist damals davon Abstand genommen worden.

 „Wer ein politisches Amt will, der sollte seine politische Vergangenheit preisgeben“, sagte die erste Brandenburger Stasi-Beauftragte Urike Poppe hier im Kreistag am 10. März 2011. Diese Transparenz seien die Politiker ihren Wählern schuldig.

Sie sagte das unmittelbar vor der Abstimmung zur Überprüfung der Abgeordneten dieser Wahlperiode auf Tätigkeit für die Stasi.

 Andreas Vogel schrieb wenige Tage vorher in der MAZ: „Bekannt ist, dass die Linken-Politiker Hartmut Buschke und Enno Rosenthal während ihrer Armeezeit als IM gearbeitet haben.“

 Ich frage mich mittlerweile wie man sich, Enno, in solch einer Situation fühlt, wenn man doch von sich selbst weiß, dass man nicht nur während der Armeezeit sondern noch lange danach - noch bis August und September 1989 hinein - Berichte für die Stasi geschrieben hat.

 Überlegt man sich der berühmten Salamitaktik entsprechend, nur das zuzugeben, was vielleicht bekannt wird?

Zieht man in Erwägung, sein Abgeordnetenmandat zurückzugeben?

Oder überlegt man sich vielleicht doch, in die Öffentlichkeit zugehen und alles darzustellen - mit sämtlichen eigenen Verstrickungen, Verfehlungen oder auch Verblendungen, das heißt, mutig Verantwortung zu übernehmen - und damit vor allem seinen eigenen Beitrag zur Aufarbeitung zu leisten.

 Unterm Strich hat wieder einmal jemand eine Chance verpasst, Hintergründe, Beweggründe und Mechanismen einer Diktatur offen zu legen.

 Meiner Meinung nach ist jeder von uns, die wir in dieser DDR gelebt haben, dies den nachfolgenden Generationen einfach schuldig, auf dass ihnen solche Erfahrungen hoffentlich erspart bleiben.

 Natürlich passt der Umgang ins Bild von Leuten, die gebetsmühlenartig auch bei uns in Neuruppin in öffentlichen Veranstaltungen erklären, die Stasi war ein ganz legitimer Geheimdienst, wie es ihn in jedem Staat geben muss - und dafür sogar noch Beifall ernten.

 Bei aller berechtigten Kritik an Bundesdeutschen Geheimdiensten – es ist doch wohl festzustellen, dass sich Geheimdienste eines rechtstaatlichen demokratischen Staates schon von Geheimdiensten in Diktaturen wie der DDR unterscheiden.

Allein: Ich kann mich nicht erinnern, in irgendeiner Veröffentlichung zu DDR-Zeiten von Kritik oder Infrage stellen oder von Fehlern oder gar Versagen der Staatssicherheit gelesen zu haben.

Und:

Wer in die Fängen der Stasi geriet war der absoluten Willkür ohne jegliche rechtstaatliche Möglichkeit, sich dagegen zur Wehr zu setzen, ausgesetzt.

 Es gäbe noch sehr, sehr viel mehr zu sagen.

 Aber nur noch eine Bemerkung

Ich frage mich, Enno, wie man sich während der Wendezeit gefühlt haben muss, mit einem System zusammenarbeiten, dass wie später auf Guantanomo, Stacheldrahtverhaue als Internierungslager eingerichtet hatte. Ich erinnere nur an den riesigen Stacheldrahtverhau im Wald bei Netzeband, der für Systemkritiker und Aktivisten der Bürgerbewegungen unserer Region angelegt worden war.

 Natürlich kann man sich auf die alt bewährte Position nach dem Zusammenbruch von Unrechtssystemen zurückziehen und behaupten, man habe von nichts gewusst….

Wer jedoch bis in die Wende hinein Berichte abgeliefert hat, war mit absoluter Sicherheit auch in solche düsteren Pläne eingeweiht.

Wie fühlt man sich in solchen Situationen, wenn man selbst hier in dieser Region geboren ist, einen großen Bekanntenkreis hat und die Möglichkeit in Betracht ziehen musste, dass einige von denen in solch einem Internierungslager landen könnten.

 Aber mit diesen Fragen musst Du allein klarkommen.

 Solche Leute wie Du sind - bei alle Mitschuld bundesrepublikanischer Unfähigkeit zum zweiten Mal in der deutschen Geschichte eine Diktatur aufzuarbeiten - dafür verantwortlich, dass diese Diktatur in der öffentlichen Wahrnehmung gar nicht so schlimm war.

 Ich weiß, dass es eigentlich keinen Sinn macht, aber ich würde dieses Thema gern zum Anlass nehmen, Dir heute hier ein Buch zu schenken - ein Buch, das die Mechanismen dieser gescheiterten Aufarbeitung untersucht und ohne jegliche Rückwärtsgewandheit einfach nur sachlich analysiert.

 Ich zitiere nur kurz aus dem Klappentext.

“Nach dem Zusammenbruch der DDR wollten es die Deutschen besser machen als 45 Jahre zuvor. Täter sollten zur Rechenschaft gezogen werden, Opfer Genugtuung erhalten. Zwei Jahrzehnte später steht fest: Die Aufarbeitung der zweiten Diktatur auf deutschem Boden ist gründlich gescheitert.

…eine schockierende Bilanz nach zwanzig Jahren Einheit.“

Das Buch von Uwe Müller und Grit Hartmann und heißt „Vorwärts und vergessen!“.

 Natürlich gibt es viele Gründe, warum diese Aufarbeitung in großem Stil missglückt ist. Aber es ist in diesem Fall Deine ganz persönlich verpasste Chance.

 Wenn Du in dich gehst, findest Du sicher auch bei Deinem zeitintensiven Job die Zeit dieses Buch zu lesen – nämlich, wenn Du dein Mandat als Kreistagsabgeordneter zurückgibst.

 Auch wenn der Ältestenrat sich nicht zu einer Empfehlung durchringen konnte,

 -           ich jedenfalls fordere dich dazu auf!“

www.maerkischeallgemeine.de/cms/beitrag/12491060/61299/Wolfgang-Freese-fordert-Enno-Rosenthal-zum-Ruecktritt-auf.html

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